Bunt, vielfältig, laut und beeindruckend
Von Sofie Flurschütz
Bangalore - Zahlreiche Menschen schlängeln sich durch Gassen, hundert kleine Läden und Händler ringen nach Aufmerksamkeit, Autos und Motorräder hupen um die Wette, Affen klettern auf Häuserdächern, Straßenhunde schnüffeln an Müllresten und ab und an versperrt eine Kuh den Weg. Wo wir auch hinschauen, überall entdecken wir etwas Neues auf der Fahrt vom Flughafen zur Unterkunft in Bangalore. "Ich würde Bangalore mit dem Wort wild beschrieben, es wirkte gar nicht wie eine Großstadt und es war auch nicht so schockierend, wie ich es erwartet habe, sondern spannend", beschreibt Nicole ihre ersten Eindrücke. Im Hostel-Zimmer schütteln wir unsere Rucksäcke von unseren Schultern, stellen den Koffer in die Ecke, knöpfen die Jacken auf und atmen tief durch. Für jeden von uns ist es das erste Mal in Indien.
Geduldig, interessiert und kreativ
"Erweckt den Künstler in euch", motiviert uns Jose Jacob aus dem BayIND Büro in Bangalore am ersten Programm-Tag. Wenig später pinseln wir mit blauer, gelber, grüner oder roter Farbe Linien und Figuren an die Mauer. Gemeinsam mit indischen Straßenkünstlern sensibilisieren wir für wichtige Themen wie Plastikmüll. "Paint for a cause" nennt sich dieses Projekt. Nach einigen Stunden entstanden so fünf neu gestaltete Wände - jede mit einer Message. Die Wände sind ein gutes Medium, um Botschaften zu überbringen, denn sie sieht jeder. Es ist Regenzeit in Südindien und so müssen wir unfreiwillig eine Pause einlegen. Unter dem Dach einer Parkanlage kommen wir ins Gespräch. Es ist interessant, warum sich jeder bei der BayIND Summer School beworben hat und welche Reiseerfahrungen wir bereits mitbringen.
Besuch im Generalkonsulat
"I am happy, I am healthy, I am peaceful" wiederholen wir am nächsten Morgen den indischen Yogalehrer. Konzentriert sitzen wir im Schneidersitz auf einer dünnen, blauen Matte. Unsere Augenlider fallen nach unten, unsere Muskeln entspannen sich. Wir folgen den Instruktionen des Yogis. Für viele von uns ist es nicht die erste Yoga-Erfahrung. Annika kann sich minutenlang in der Brücke halten, Sebastian geht die exakte Abfolge des Sonnengrußes durch und Rowena macht einen perfekten Krieger. "Mir hat gefallen, dass der Yogalehrer die Asanas ausführlich beschrieben und erklärt hat, so hat er uns nicht nur das Sportliche, sondern auch das Spirituelle am Yoga gezeigt", sagt Evelyn. "Yoga bedeutet für mich, zur Ruhe zu kommen und den Kopf mal auszuschalten", findet Nicole. Zum Frühstück schlürfen wir schwarzen Tee, essen Dosa, einen herzhaften Pfannkuchen oder Idli, einen Linsen-Reiskuchen, mit einer gewürzten Soße namens Sambar. Außerdem gibt es auch Toast mit Marmelade für uns. Nach dem Essen klettern wir im Business-Outfit in den Bus. Das Fahrzeug brettert die Straße entlang, Motorräder und gelb-grüne Tuk Tuks drängeln sich vorbei. Wir beobachten eine große Anzahl von Menschen, fast jeder besitzt ein Smartphone. Bangalore, eine Stadt mit mehr als elf Millionen Einwohnern und Zentrum der indischen High-Tech Industrie, sei gewachsen, doch die Infrastruktur blieb nahezu unverändert, erklärt Organisatorin Elisabeth Vögele. Im Generalkonsulat erfahren wir mehr über die Arbeit eines Entsandten und das Start-up-Netzwerk BIGSUN, Bangalore Indo-German Start-up Network. Es wurde von dem deutschen Konsulat und der indisch-deutschen Handelskammer ins Leben gerufen, um die Zusammenarbeit zwischen indischen Start-ups und deutschen Unternehmen zu unterstützen.
Lectures und Lust auf´s Lernen
Unsere Augen blicken fokussiert nach vorne, notieren fleißig mit, was gesagt wird. Neben Firmenbesuchen helfen uns Vorlesungen, sogenannte Lectures, das Land und dessen Leute kennenzulernen. Dazu besuchen wir unter anderem eine Vorlesung über Women´s rights - Frauenrechte, die in Kooperation mit der Friedrich-Ebert-Stiftung in Indien organisiert wurde. "Wir kämpfen, aber wir kämpfen Arm in Arm", sagt die indische Aktivistin Ruth Manorama während ihres Vortrags über die Situation der Frauen in Indien. Wir sind begeistert, denn Ruth ist motivierend und stark. Ein anderer Gesprächspartner ist SPIEGEL-Korrespondentin Laura Höflinger. Von ihr lernen wir, dass viele Inder WhatsApp und Facebook als Hauptnachrichtenquelle verwenden. Fake News seien demnach ein großes Problem, denn zu viele Inder glauben den teilweise manipulierten Videomaterial, das oft durch soziale Netzwerke verbreitet wird. Zum Staunen bringt uns auch unser Besuch bei Infosys, ein weltweit tätiges IT-Unternehmen.
Andere Länder, andere Sitten
Zum Mittagessen serviert ein indischer Kellner Reis mit verschiedenen Currys und Brot auf einem Bananenblatt - eine typische Mahlzeit. Wir probieren alles, schließlich ist das Essen ganz anders als daheim. "Noch nie habe ich so scharf gegessen", sagt Nicole und ergänzt "Vorher hatte ich richtig Angst vor dem Essen, dachte ich kann mich nur von trockenem Reis ernähren." Mit den Händen zu speisen, so wie es Inder eigentlich tun, beherrschen nur ein paar von uns. Es braucht Übung. Viele bevorzugen das gewohnte Besteck, um die Currys mit Reis zu essen. Nachdem wir satt sind, suchen wir das WC und treffen auf eine Hocktoilette und danebenstehenden Wassereimer zum Spülen im Handbetrieb. Abends möchten wir noch Gewürze wie Zimt, Pfeffer und Kurkuma als Mitbringsel kaufen. "No Problem", sagt der Kopf wackelnde Inder im Laden und stürmt sofort los. "Inder sind höflich und gastfreundlich", sagt Anna.
Singen im Saree
"99 Kriegsminister, Streichholz und Benzinkanister, hielten sich für schlaue Leute, witterten schon fette Beute" trällern wir gemeinsam Zeile für Zeile von Nenas Lied 99 Luftballons. Am Ende des Songs lassen wir Ballons steigen und das Publikum jubelt. Es ist die Abschiedsveranstaltung am St. Josephs Institute of Management in Bangalore. Wir haben uns traditionelle Kleidung von den indischen Studierenden des St. Josephs Institute of Management geliehen und tanzen darin einen deutschen Volkstanz. Alle Mädels tragen ein meterlanges, farbenfrohes Sari, ein tolles Gefühl. Eine Inderin kleckst uns einen roten Punkt, den sogenannten Bindi, auf die Stirn. Er ist das Zeichen der verheirateten Frauen, wird manchmal aber auch nur als Accessoire getragen. Nach der Veranstaltung gehen wir nach draußen, um dort unterschiedliche Teams beim Kochen zu unterstützen und lernen so mehr über die indische Küche. "Die indischen Studierenden haben uns ihre Kultur gezeigt und sich immer um uns gekümmert", sagt Amina.
Kerala, das neue Goa
Wellen schwappen gegen das Schiff "Mayooram", Rettungsringe hängen neben dem Steuerboard und ein netter Inder trägt Kokosnüsse auf einem Tablett - ein Willkommenstrink für uns an Board. In Kochi erkunden wir die Backwaters, ein verzweigtes Wasserstraßennetz im südindischen Bundessstaat Kerala. Die Schifffahrt ist eine gute Gelegenheit, um die Füße an der Schiffswand baumeln zu lassen und ins Gespräch zu kommen. Die Gegend erforschen wir auch mit dem Fahrrad. Wir ziehen vorbei an vielen großen Seen und Lagunen, Flüssen und langen Kanälen. Unzählige Inder stehen vor ihren Häusern, als hätte jemand alle angerufen, um zu sagen, dass eine Horde Deutscher gleich vorbeifahren wird. Es ist eine Gaudi durch Gassen und über Brücken, auf Feldwegen und entlang der Straße zu radeln. Wir beobachten die wunderschöne Landschaft und sobald wir den Anschluss verlieren, weisen uns Inder den Weg. Für viele von uns ist es das Highlight der Summer School. Nach Firmenbesuchen bei zum Beispiel L&T, Bio-lutions, WeWorks und Infosys, Besichtigung eines Vishnu-Tempels in Mysore oder Vorträgen über die indische Wirtschaft haben wir in Kochi das Ende der Summer School erreicht.
Time to say goodbye
Das Poolwasser schimmert, Balloons schweben um den langen Tisch, an dem wir im Kerzenlicht sitzen. Nach leckerem Naan-Brot, Paneer und Vanilleeis fallen die Abschiedsworte und die Gedanken über die Summer School und Indien strömen aus jedem Teilnehmer heraus. "Für mich ist Indien bunt, vielfältig, laut und beeindruckend", betont Nicole beim Farewell Dinner und ergänzt "Die Reise nach Indien war wirklich einzigartig und wird mir ein Leben lang in Erinnerung bleiben - als einzelner Tourist hätte ich sicher nicht die Chance erhalten, solche Einblicke zu erleben." Anna freut sich auf die Ruhe und den lautlosen Verkehr in Deutschland. Eva ist dankbar für die tollen Erlebnisse. Philipp hätte sich keine bessere Gruppe vorstellen können, um Südindien zu erkunden. Auch Pia wird das Team vermissen und für sie wird es ein komisches Gefühl, nicht mehr von 20 anderen rund um die Uhr umgeben zu sein. Für David waren es besondere Umstände: "Vor ein paar Wochen wusste ich noch nicht, dass ich an der Summer School teilnehme, als ich doch noch eine Zusage erhielt, cancelte ich meine Pläne und buchte einen Flug nach Indien, ich habe es nicht bereut!", erzählt David, der spontan als Teilnehmer dazukam und sehr glücklich über seine Entscheidung ist. Auch Ann-Kristin findet tolle Worte, um das Erlebte zu resümieren: "Ob pitschnass werden oder extrem schwitzen auf der Spice Farm, wir haben alles zusammen gemeistert."
Fotografin und Summer School - Teilnehmerin: Nicole Schwab
Webseite: https://foto.nschwab.de/











